Wir fahren nach Dortmund zu Phoenix des Lumières, dem ersten Zentrum für immersive Kunst in Deutschland. Uns erwarten beeindruckende Ausstellungen voller digitaler Projektionen, Musik, Licht und Farben von Gustav Klimt, Friedensreich Hundertwasser und dem türkischen Produktionsstudios Nohlab.
Hambi bleibt - Manheim nicht
Ausflug ins Braunkohlerevier
Wir haben Petitionen unterschrieben und mit den Aktivisten im Hambacher Forst mitgezittert. Vor Ort waren wir noch nie. Das wollen wir ändern und machen einen Sonntagsausflug ins Braunkohleabbaugebiet gleich vor den Toren Kölns im Westen. Mit dabei sind unsere Jungs und Anton, Milans Freund und Klassenkamerad.
Unser erstes Ziel: Manheim, ein „Geisterdorf“, das dem Braunkohleabbau weichen soll und schon fast komplett umgesiedelt wurde nach Manheim-neu. Wie wird es dort aussehen? Wie werden uns die dort weiterhin lebenden Bewohner empfangen, wenn wir durch die leeren Straßen ziehen und Fotos machen?
Schon nach kurzer Fahrt über Autobahn und leere Landstraßen erreichen wir Manheim. Das erste, was wir sehen, sind mehrere Mannschaftswagen der Polizei, die wohl überwachen sollen, dass die verlassenen Häuser nicht besetzt oder sonstiger Unfug damit getrieben wird. Alles wirkt friedlich und verlassen, ein bisschen wie eine Filmkulisse. Ein paar vereinzelte Autos auf der Dorfstraße. Ob sie zurückgebliebenen Anwohnern gehören oder neugierigen Besuchern wie uns?
Zuerst steuern wir die St. Albanuskirche an, die natürlich ebenfalls der Braunkohle weichen soll, und schlendern einmal drumherum. Hier treffen wir auf drei weitere Schaulustige, die es genauso surreal wie wir zu finden scheinen, dass es möglich ist, ganze Ortschaften plattzumachen, um weiterhin Braunkohle zu fördern. Ein Polizeiwagen fährt langsam vorbei, stört sich aber nicht an uns.
Wir schlendern die Straße entlang, in der noch ein Haus bewohnt ist. Alle anderen Häuschen, neuere und wirklich alte, sind verlassen, die Jalousien heruntergelassen und die Haustüren verriegelt. Vor einigen Eingängen finden sich noch zerfledderte Ikeakataloge, die hier schon monate- oder sogar jahrelang zu liegen scheinen. Die Umsiedelung wurde bereits 2011 beschlossen und hat 2012 begonnen. Durch manche Briefkästen ist Laub in die unbewohnten Dielen hineingeweht, was man durch die Glasbausteine erkennen kann. Wie es wohl ist, hier noch auszuharren? Wir trauen uns nicht zu fragen, obwohl uns zwei offenbar noch hier lebenden Hundebesitzer begegnen und keinen Anstoß an uns und unseren Kameras nehmen. Selbst wenn der Beschluss, den Ort abzureißen, gekippt würde, das Leben würde wohl nicht mehr hierhin zurückkehren. Die Atmosphäre ist schon trostlos hier. Straßennamen wir Sonnenblumenstraße und Esperantostraße wirken vor dieser Kulisse makaber. Und wir müssen uns fragen, warum wir nicht schon früher hier waren und uns nicht früher gegen den Braunkohleirrsinn eingesetzt haben.
Am Ortsrand laufen wir am Feld entlang. Auf einem Parkplatz steht noch ein Dutzend funktionstüchtig aussehende LKW. Ein Bauer fährt unverzagt mit seinem Trecker vorbei und grüßt freundlich als wäre nichts geschehen. Leben geht weiter. Milan entdeckt im Schutt (ein paar Häuser wurden schon weggebaggert) eine rotblühende Rose. Wir kommen an einer verlassenen Pizzeria, einem verlassenen Gemeindehaus und einem Bauernhoftor, hinter dem die Kinder noch ein paar Kühe entdecken, vorbei. Auf einem maroden Spielplatz finden die Jungs einen halben Fußball, mit dem sich nicht wirklich gut kicken lässt. Wir versuchen uns vorzustellen, wie das Leben hier war und können es uns doch nicht vorstellen.
Schließlich fahren wir weiter zum Hambacher Forst. Hier wird es richtig voll, denn für heute ist der Waldspaziergang geplant, eine wöchentlich stattfindende Demonstration. Die Jungs interessieren sich vor allem für die geräumten und nun langsam wieder entstehenden Baumhäuser und deren Bewohner, mit denen sie schnell ins Gespräch kommen. Die Mischung aus jungen, internationalen „Event-Aktivisten“, Anwohnern und Familien ist bunt, die Stimmung entspannt, alle grüßen freundlich und man fühlt sich gleich in einer Gemeinschaft, die sich gemeinsam über den im letzten Moment beschlossenen, zumindest vorläufigen Stopp der weiteren Rodung des Hambacher Forsts freut. Wir wandern durch den Forst bis zum Abbaugebiet, was schon große Teile des alten Baumbestands weggefressen hat. Ein Aktivist erklärt den Kindern, dass die Fläche des Hambacher Abbaugebiets größer als die Gesamtfläche der Stadt Köln sei und das Loch bis zu 450 Meter tief. Man sieht die Abbaugebiete vom Mond aus.
Um dem Tagebau noch näher zu kommen und die ganze Dimension auch nur annähernd erfassen zu können, fahren wir noch weiter zu einer letzten Station, zum Aussichtspunkt Terranova, von RWE liebevoll „Zukunftslandschaft für Energie“ genannt. Meinen die das wirklich ernst? Wer die RWE Werkstraße auf eigene Gefahr befährt und hier parkt, darf sich bis direkt an die Abbruchkante vorwagen und im eisigen Wind (Bäume, die ihn aufhalten könnten, gibt es hier ja nicht mehr) den spektakulären Blick auf die verunstaltete Landschaft genießen. Auch heute, am Sonntag, stehen die Schaufelradbagger nicht still, sondern baggern fleißig weiter nach Braunkohle. Die Kinder freuen sich über einen von RWE spendierten Spielplatz und wir hatten uns eigentlich auf einen Kaffee und ein Mittagessen im Terranova Café gefreut. Das hat allerdings zu, wie uns ein merkwürdig formuliertes Schreiben am Eingang erklärt. Offenbar gab es unüberbrückbare Differenzen zwischen Pächtern und Betreibergesellschaft RWE, was sie Ausrichtung dieses Ausflugslokal betrifft. Schade. Auch das Fußballgolf-Feld, auf das wir uns gefreut hatten, hat zu, echt tote Hose und sehr ungemütlich hier, Zeit also, den Rückweg anzutreten.
Kommentare
Ich bin vor 15 Jahren einmal durch Zufall in einem solchen X-Dorf gelandet, dass durch ein Neu-X-Dorf mit Reihenhäusern ersetzt wurde. Ich habe dort fast den ganzen Tag verbracht; ein absolut empfehlenswerter Ausflug, beklemmend schön.
Liebe Jenny, lieber Andi,
ich finde euren Blog wirklich toll, informativ und lesenswert. Diesen Beitrag finde ich jedoch ein bisschen schade. Bitte vergesst nicht, dass ihr durch die Braunkohle euer Leben lang in warmen Wohnungen gewohnt und immer genügend Strom hattet. Auch will jeder Einzelne gerne weiter Auto fahren, Pakete bestellen, mit Flugzeug oder Schiff durch die Welt reisen, billigen Strom nutzen und seinen Lebensstandard möglichst nicht einschränken. Das ist für die CO2 Bilanz nicht besser als Braunkohle und man ist letztlich selber ein Teil des Problems, das nicht einfach durch alternative Energien trivial gelöst werden kann. Ich will nicht belehren, sondern nur aufzeigen, dass man es sich schnell einfach macht, das vermeintlich Schlechte zu verurteilen, ohne die genauen Hintergründe und Konsequenzen zu kennen. So, das wollte ich nur loswerden…macht trotzdem weiter so!
Beste Grüße von Simone
Liebe Simone,
vielen Dank für Dein Feedback. Schade, dass Du unseren Bericht zu einseitig findest. Wir sind gerade dorthin gefahren, um uns ein eigenes Bild zu machen. Allerdings ging es uns in dem Artikel eher darum, die Orte zu beschreiben als über Hintergründe aufzuklären. Über das größere Thema CO2 Bilanz denken wir in letzter Zeit tatsächlich häufiger nach und müssen uns an die eigene Nase fassen. Da hast Du vollkommen recht und das will ich auch nicht schönreden. Danke auf jeden Fall für den Hinweis. Wir freuen uns, wenn Du unseren Blog weiter liest und gerne auch durch kritische Kommentare bereicherst.
Viele Grüße, Jenny
Super, dass ihr nicht nur die „schöne“ Welt zeigt!
Hi,
Deine Fotos sind gespenstisch schön. Sie fangen die trostlose, unwirkliche Szene super ein. Ganz toll!
Gruß Nadja
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