Die Küste des japanischen Meers hat ihren ganz eigenen Charme mit vielen schönen Stränden und Buchten. In den Alpen könnt ihr das Weltkulturerbe der Gassho-Dörfer bestaunen. Und wenn ihr dann zum Schluss eures Urlaubs nochmal einen Schönwetterstrand haben wollt, fahrt nochmal auf die Halbinsel Izu.
Hiroshima
Bewegend und beeindruckend
Es ist erstaunlich ruhig hier im Park, dabei wird emsig gearbeitet. Zahlreiche Pavillons und Zelte werden zusammengepackt, hunderte von Stühlen auf Lastwagen verladen. Wir spazieren durch den Friedenspark, in dem vor zwei Tagen direkt vor dem Kenotaph die jährliche Gedenkfeier stattgefunden hat. 71 Jahre ist der Atombomben-Abwurf über Hiroshima nun schon her und trotz der vielen vergangenen Jahre an diesem Ort und in dieser Stadt noch mehr als präsent. Zum Glück.
Hiroshima macht einen lebensfrohen und lebendigen Eindruck. Die Stadt wirkt aufgeräumt, der Verkehr fließt durch die breiten Straßen, die Gehwege sind begrünt und es gibt sogar alle paar Meter einen Mülleimer, eine Seltenheit in Japan. Die Menschen sehen sehr geschäftig aus, in Businesskleidung eilen sie strammen Schrittes durch das Zentrum. Man merkt schnell, dass das ehemalige kaiserliche Hauptquartier heute das kulturelle und industrielle Zentrum Chūgokus, der westlichsten Region der Insel Honshū, ist. Und dennoch ist die Stadt durch eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit berühmt und dadurch zu einem wahren Mahnmal geworden.
Am frühen Morgen des 6. August 1945 warf der US-Bomber Enola Gay, benannt nach der Mutter des Piloten, die Uran-Bombe „Little Boy“ über der Innenstadt Hiroshimas ab. Zu diesem Zeitpunkt war Hiroshima von Bombardierungen verschont geblieben, war Sitz eines militärischen Hauptquartiers und hatte kein Kriegsgefangenenlager. Zudem bestanden die meisten Häuser aus Holz und waren leicht entflammbar. Aus Sicht der Amerikaner also ein geeignetes Ziel.
In einer Höhe von 600 Metern über der Aioi-Brücke im Stadtzentrum explodierte schließlich die Atombombe. Innerhalb weniger Sekunden wurden durch die Detonationswelle rund 80 Prozent der Innenstadt zerstört, ein Feuersturm vernichtete elf Quadratkilometer der Stadtfläche. Bei dem Angriff wurden über 70.000 Menschen sofort getötet. An den Folgeschäden starben in den nachfolgenden fünf Jahren nach unterschiedlichen Schätzungen weitere 200.000 Menschen. Bis heute leiden und sterben ehemalige Opfer an Krebserkrankungen als Langzeitfolge der Strahlung.
Drei Tage später folgte der Abwurf der Atombombe „Fat Boy“ über Nagasaki. Hier starben in unmittelbarer Folge bis zu 60.000 Menschen am Tag des Abwurfs und in den Folgemonaten.
Wenige Meter von Ground Zero entfernt wurde 1948 der Friedenspark auf einer Insel des Flusses Ōta-gawa errichtet. Wir betreten den Park am Südeingang und können aus der Entfernung bereits das Skelett des Atombombendoms sehen, der zum Wahrzeichen Hiroshimas geworden ist.
Im Foyer des Friedensmuseums verschaffen wir uns einen Eindruck über die Ausstellung. Wir entscheiden uns gegen einen Besuch, zu verstörend wirken die bereits im Eingangsbereich ausgestellten Fotos und gezeigten Videos. Schließlich sind wir in Begleitung unserer für solch ein Thema doch recht jungen Kinder, denen wir auch ohne einen Besuch des Museums die Geschehnisse ganz gut vermitteln können.
Der Kenotaph in der Mitte des Friedensparks ist die zentrale Gedenkstätte. Er stellt den Sattel eines Tonpferdes dar, der in Japan früher Gräbern beigelegt wurde. Schweigend stellen wir uns in der Schlange an, um nach und nach vorzutreten und den Opfern, die hier alle verzeichnet sind, und den schlimmen Ereignissen zu gedenken. Durch den Kenotaph blicken wir auf die ewige Flamme, die erst dann erlischt, wenn alle Nuklearwaffen auf der Welt zerstört worden sind.
Im nördlichen Teil des Parks steht neben der Friedensglocke, die wir alle einmal läuten, das Denkmal von Sadako. Ihre Geschichte berüht, denn an ihrem Schicksal werden die Folgen dieser Katastrophe deutlich. Als kleines Mädchen überlebte sie den Bombenangriff, erkrankte aber einige Jahre später an Leukämie. In der Hoffnung, wieder geheilt zu werden, begann sie, 1000 Papierkraniche zu falten. Leider starb sie kurze Zeit später. Bis heute senden Kinder aus aller Welt Papierkraniche nach Hiroshima, um Sadako zu gedenken. Diese sind in Vitrinen rund um ihr Denkmal ausgestellt.
Während wir die Unmengen an bunten Papierkranichen in allen Größen betrachten, wird Jenny von einem älteren Japaner angesprochen. Zu unserer Überraschung spricht er deutsch und erzählt uns seine Geschichte, ganz unaufdringlich und mit ruhiger, klarer Stimme. Seine Familie stamme aus Hiroshima, so berichtet er. Seine Verwandten kamen bei dem Angriff alle ums Leben, lediglich seine Mutter überlebte, da sie in einer anderen Stadt zu dem Zeitpunkt studierte. Nach einem kurzen Gespräch verabschiedet sich der Mann von uns, wünscht uns eine gute Reise und setzt seinen Spaziergang durch den Park fort. Eine kurze und intensive Begegnung, die den Ereignissen für uns ein Gesicht gibt.
Über eine Brücke gelangen wir zum Atombombendom, dem A-Bomb Dome. Das völlig zerstörte Gebäude der ehemaligen Industrie- und Handelskammer mit seiner markanten Kuppel, die eigentlich nur ein Gerippe ist, zieht uns in seinen Bann. Es ist nicht nur das Wahrzeichen Hiroshimas, sondern auch zu einem Symbol für Frieden und den Wunsch nach einer Welt ohne Nuklearwaffen geworden.
Vor dem Atombombendom lernen wir Mito Kosei kennen. Der pensionierte Englisch-Lehrer ist „In-Utero-Survivor“, seine Mutter überlebte den Bombenangriff, als sie mit ihm im vierten Monat schwanger war. Seit 2006 hat Kosei es sich zur Aufgabe gemacht, die Besucher ehrenamtlich über die Geschichte und Hintergründe zu informieren. Wir setzen uns auf kleine, bereitgestellte Hocker und greifen nach einer einfachen DIN-A4-Mappe, die in allen möglichen Sprachen ausliegen. Eine Sammlung aus Texten, Bildern, teils einfachen Kopien erklärt uns die geschichtlichen Zusammenhänge, die Wucht einer Atombombe, den Abwurf, die Zeit danach. Uns fällt auf, dass mit keinem Wort ein Schuldiger gesucht, keine Partei ergriffen oder Hass vermittelt wird. Die Kernaussage ist, dass hier die gesamte Menschheit eine große Niederlage erlitten hat. Statt über Zorn und Wut zu sprechen, wird hier nach vorne geschaut mit der Hoffnung auf eine friedliche Welt.
Unterstützt wird Mito Kosei von Helfern, Studenten und Angehörigen von Überlebenden. Sie geben bereitwillig Auskunft, ebenso wie ein mindestens 80jähriger Überlebender. Der rüstige Senior ist mit seinem Rennrad zur Gedenkstätte gekommen, passend dazu in kompletter Fahrradmontur gekleidet erzählt auch er Interessierten seine Geschichte. Wir sind von der Atmosphäre, dem Austausch und den Gesprächen zwischen den verschiedenen Menschen beeindruckt.
Auf dem Weg zurück durch den Park entdecken wir eher zufällig ein Gebäude, dessen Eingang unter die Erde führt. Der Eintritt ist kostenlos und durch einen Gang gelangen wir in eine unterirdische, runde Halle, auf deren Wand ein riesiges, schwarz-weißes Panoramabild vom zerstörten Hiroshima abgebildet ist. Einerseits ein gruseliger Anblick, wenn man sich das Ausmaß vorstellt und sich nochmal der Tatsache bewusst wird, dass bis auf den Atombombendom und einige wenige Gebäude die gesamte Stadt im wahrsten Sinne des Wortes dem Erdboden gleich gemacht worden ist. Auf der anderen Seite aber auch irgendwie beruhigend und aufbauend, was aus dieser vollkommenen Zerstörung entstanden ist und als welch positive und fröhliche Stadt sich Hiroshima uns heute präsentiert.
Auf unseren Reisen sehen wir oft viele schöne Orte, die uns begeistern und die in Erinnerung bleiben. Genauso wichtig ist es aber auch, Orte zu besuchen, die eine so schreckliche Geschichte haben, die bedrücken und erschüttern. So wie Hiroshima. Wie die Menschen hier mit den Geschehnissen umgehen, wie sie dem Vergessen, das auch gar nicht möglich ist, entgegenwirken und ihre Geschichten am Leben halten, das hat uns nachhaltig beeindruckt.
Kommentare
Sehr sehr eindrucksvoll! Diese Reise werden die Kinder nie vergessen ! Gruß Nina
auch ich habe Hiroshima besucht. Damals waren eine grosse Gruppe Überlebender Senioren vor Ort, was mich sehr bewegt hat. Der Besuch des Museums war für mich kaum auszuhalten, da alles so extrem plastisch dargestellt ist. Wirklich ein ganz düsterer Ort der Menschheitsgeschichte - und trotzdem müssen wir uns auch in der Gegenwart mit der Thematik auseinandersetzten.
Bei dem Thema Hiroshima kriege ich immer ein beklemmendes Gefühl, gerade wenn man sich die Dokus anschaut, die grad im TV laufen. Aber mich würde ein Besuch dort im Museum und Friedenspark auch mal interessieren. Irgendwann mal vielleicht.
LG Tanja
Wirklich schöner Blog. Man merkt dir die Leidenschaft des Bloggens an. Weiter so. In Hiroshima selbst waren wir noch nicht gewesen, werden das aber definitiv nachholen.
Viele Grüße
Euer Bericht ist wirklich sehr eindrücklich.
Wir verfolgen mit Interesse und Spannung eure Japanreise.
Herzliche Grüße
Larissa und Kolja
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Japan ist berühmt für vieles, sicherlich nicht für seine Traumstrände. Völlig zu unrecht! Auf Izu könnt ihr Strandurlaub vom Feinsten machen, in den tollen Wellen baden und surfen und es euch einfach gutgehen lassen.