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Ein Familienbesuch der besonderen Art

Eine Reise zu unseren Verwandten nach China

Familie aus China

Die Schiebetüren am Flughafen öffnen sich und wir verlassen den Sicherheitsbereich. Und da stehen sie, winkend und strahlend. Einige haben ihre Handys gezückt und filmen, andere halten Blumen in der Hand. Es sind Cousins und Cousinen meiner Mutter, die es sich nicht haben nehmen lassen, uns höchst persönlich am Flughafen in Xiamen abzuholen.

Wir werden in den Arm genommen und geherzt, manche haben Tränen in den Augen. Was für ein Empfang. Ich sehe die chinesischen Verwandten heute zum ersten Mal, Jenny und die Jungs sowie die Mehrheit unserer deutschen Delegation mit der wir nach China angereist sind auch. Überhaupt sind wir zum ersten Mal in China und das obwohl China ja unsere zweite Heimat ist, wie Mato stolz in seinem Kindergarten erzählt hat.

Nach einer langen Anreise von Düsseldorf über Peking sind wir nach über 18 Stunden endlich in Xiamen angekommen. Wir, das sind natürlich Jenny und unsere Söhne, meine Eltern, meine Schwestern mit Partnern und Kindern sowie einer meiner Cousins. Insgesamt 14 Personen. Und das will schon was heißen. Ich bin noch nie in so einer großen Familienkonstellation gereist und das Einchecken oder Boarding mit soviel Personen ist schon eine kleine Herausforderung. Bis alle am Ende ihren Platz eingenommen und die Cousins und Cousinen sich solange umgesetzt haben bis jeder auch den gewünschten Sitznachbarn gefunden hat, da ist schon eine Menge Gelassenheit gefragt.

Nun sind wir also in Xiamen, einer Küstenstadt im Südosten Chinas in der Provinz Fujian mit 1,7 Millionen Einwohnern. Also für chinesische Verhältnisse eine Kleinstadt. Während wir uns nach der Begrüßung erstmal orientieren müssen, haben sich die Chinesen schon unsere Koffer geschnappt und flitzen zum Ausgang des kleinen Terminals. Alle Bemühungen, unsere Koffer selber zu ziehen, werden lächelnd abgewiesen. Draußen steuern wir auf einem Parkplatz einen kleinen Reisebus an, den uns die Verwandtschaft für die kommenden Tage organisiert hat. Und ehe wir uns versehen sitzen wir auch schon mit allen Mann drin und fahren los.

Xiamen
Begrüßung am Flughafen in Xiamen
China
Unser Reisebus

Warum wir Verwandte in China haben

Dass wir Verwandte in China haben, ist sicherlich eine recht außergewöhnliche Geschichte. Ich versuche sie kurz und knapp zu erzählen, obwohl ich darüber auch ein ganzes Buch schreiben könnte. Sie beginnt in den 1930er Jahren als mein Opa mit 20 Jahren als neuntes Kind der Familie für sich keine Perspektive in der Eifel sah, in der er aufgewachsen war. Es zog ihn hinaus in die weite Welt und so schloss er sich einem Orden an, der in China eine Missionsstation unterhielt. Mit der Gewissheit, seine Heimat für eine lange Zeit oder gar für immer hinter sich zu lassen, bestieg er ein Schiff, das ihn in einer mehrmonatigen Fahrt in dieses weit entfernte Land brachte.

In China landete er schließlich in Shaowu, damals ein kleines Dorf in der Provinz Fujian. Er arbeitete als Schreiner und erbaute für die Missionsstation dort eine Kirche. Diese Kirche steht übrigens heute noch. Zwischenzeitlich war sie als Zentrum der kommunistischen Partei umfunktioniert worden, seit ein paar Jahren ist sie wieder als “Sancta Maria de Fatima” eine katholische Kirche. Meine Eltern, die etwas länger als wir in China bleiben können, besuchen auch Shaowu, heute eine Stadt mit über 300.000 Einwohnern. Eher zufällig treffen sie den chinesischen Gemeindepriester, der sichtlich bewegt von der Begegnung ist und meiner Mutter, der Tochter des Erbauers, eine chinesische Bibel schenkt.

Kirche in Shaowu China
Die Kirche um 1940
Shaowu Kirche
Die Kirche in Shaowu heute

Mein Opa engagierte sich sehr aktiv in der chinesischen Gemeinde und lernte schließlich dort auch meine Oma kennen. Sie heirateten und bekamen in China Kinder. Meine Mutter ist die Älteste. Spätestens jetzt hatte mein Opa Deutschland aus seinem Kopf verabschiedet und sah seine Zukunft in China.

China durchlief zu dieser Zeit große politische Veränderungen. Aufstände und innere Konflikte versetzten das Land in ständige Unruhe. Der Krieg zwischen Japan und China begann 1937 mit der Invasion der Japaner und zog China mit in den Pazifikkrieg und schließlich in den Zweiten Weltkrieg. Als 1949 die Volksrepublik China ausgerufen worden ist kehrte vermeintliche Ruhe ein.

Shaowu
Shaowu um 1935
China
Meine Mutter und ihre Eltern
China
Meine Oma und meine Mutter (links oben) mit ihrer Familie

Meine Großeltern hatten mittlerweile drei Kinder und ein schönes Haus mit Garten in Shaowu. Es ging ihnen gut. Bis Anfang der 1950er Jahre die chinesische Regierung nach und nach alle Ausländer aus dem Land verbannte. Meinen Opa, der abgeschieden in der Provinz lebte, übersah man zunächst. Doch irgendwann standen die Soldaten auch vor seiner Türe, brachten ihn zu Verhören tagelang auf die Polizeiwache und drängten ihn, das Land ohne seine Familie zu verlassen. Ich erspare uns die Details, er blieb standhaft und konnte schließlich 1954 erreichen, dass er mit seiner Frau und den Kindern das Land verlassen durfte - ohne Gepäck und nur mit dem Hab und Gut, was sie am Körper trugen. Soldaten brachten sie in einer Nacht- und Nebelaktion zur Grenze nach Hongkong, von dort ging es dann nach Deutschland in die Eifel. Ohne ein Wort Deutsch zu können standen sie also plötzlich in der deutschen Provinz. Man kann sich vorstellen, dass sie dort nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen worden sind, Ausländer kannte man damals nicht und schon gar nicht so etwas Exotisches wie Chinesen.

Da sich China dem Ausland gegenüber komplett verschloss, herrschte fast 30 Jahre kein Kontakt zu den chinesischen Verwandten, den Eltern und Geschwistern meiner Oma. Es wurden zwar Briefe verschickt, viele sind jedoch durch die Zensur nie angekommen.

Als sich das Land 1980 wieder öffnete war meine Oma eine der ersten, die ein Visum für einen Besuch beantragte. Mein Opa entschied nach den für ihn schrecklichen Erfahrungen, das Land nie wieder zu besuchen. Schliesslich beschloss mein Vater, sie zu begleiten. Leider verstarb wenige Wochen vor der Chinareise meine Urgroßmutter, so dass meine Oma ihre Mutter tragischerweise nach all den Jahren nicht mehr wiedersehen konnte. Dennoch war die Freude über das Wiedersehen mit ihren Geschwistern nach all den Jahren riesengroß. Von nun an besuchte mein Vater, der sich mehr und mehr für das Land interessierte und auch etwas die Sprache lernte, mit meiner Oma die Verwandten noch zwei Mal.

Nach dem Tod meiner Großeltern war der Kontakt zwischen den Verwandten und meinen Eltern nie abgerissen, auch wenn die Kommunikation nicht einfach war. Meine Mutter hatte schon als Kind ihr Chinesisch fast vollständig verlernt und Briefe zu lesen ist nochmal etwas anderes. Also wurde mit der jährlichen Weihnachtspost in das nächste China-Restaurant gegangen, wo der Kellner als Übersetzer aushalf. Später erreichten uns dann Mails aus China, die mit Hilfe von Google Translate übersetzt worden waren. Mit ein wenig Wohlwollen und Kombinationsgabe waren diese auch einigermaßen verständlich.

Der Plan: Wir fliegen nach China

Letztes Jahr meldete sich dann per Mail Fofo, der Onkel meiner Mutter, um uns zu seinem 90. Geburtstag einzuladen. Tatsächlich hatten wir ihn einmal vor über 20 Jahren kurz treffen können. Damals kam er von einer Dienstreise aus Amerika und hatte auf dem Rückweg nach China einen Zwischenstopp in Frankfurt. Meine Großeltern und er hatten es damals irgendwie organisiert, dass er einen Tag in Deutschland bleiben konnte und wir ihn alle einmal treffen konnten.

Was anfangs eine fixe Idee war formte sich recht schnell zu einem Plan. Wir beschlossen, mit unserer kompletten Familie und drei Generationen nach China zu reisen. Ich wollte schon immer einmal die chinesischen Verwandten besuchen und kennenlernen und vielleicht den Kontakt für die Zukunft auf die nächsten Generationen ausbauen.

Wir buchten für 14 Personen die Flüge, darunter sechs Kinder und so langsam nahm die Reise Form an. Die erste Zeit wollten wir in Xiamen verbringen, wo ein Großteil der Familie lebt. Danach sollte es nach Fuzhou gehen, dort lebt die Familie der Tante meiner Mutter. Während der Vorbereitung erfuhren wir, dass Onkel Fofo schwer erkrankt war. Es wurde knapp, denn ihm blieb nicht mehr viel Zeit.

Und wie das Leben so spielt erhielten wir wenige Wochen vor dem Abflug die Nachricht, dass Fofo gestorben war. Es war ihm sehr wichtig gewesen, uns noch einmal alle zu sehen und er hatte gekämpft und dann am Ende es einfach nicht mehr geschafft. Auch wenn wir ihn kaum kannten, berührte uns die Tragik der Geschehnisse doch sehr. Statt zum Geburtstag ging es nun zur Trauerfeier nach China.

Willkommen in China

Unsere Verwandten in China geben sich allergrößte Mühe, um uns einen perfekten und angenehmen Aufenthalt zu bereiten. Wir müssen uns um nichts kümmern, es ist alles perfekt organisiert. Sowohl in Xiamen als auch in Fuzhou steht für uns ein Reisebus bereit, mit dem wir dann täglich unterwegs sind und dabei immer von unterschiedlichen Verwandten begleitet werden. Jeder hat sozusagen einen Tag mit uns. Etwas schräg ist allerdings, dass wir nie so richtig in die Pläne eingeweiht werden. Manchmal gibt es Andeutungen, manchmal ändern sich die Pläne aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen und oft lassen wir uns einfach überraschen. Die einzige Konstante ist der Treffpunkt um 9:00 vor dem Hotel, wo der Bus schon auf uns wartet. Aber das stört uns überhaupt nicht. Wir nehmen es mit Humor, denn wir wissen, dass für alles gesorgt ist und sich die Leute hier wahrscheinlich viele Gedanken gemacht haben, was sie uns alles von China zeigen wollen. Und auch auf einen regelmäßigen Stopp in einem Restaurant ist immer Verlass. Hunger leiden müssen wir in China keinesfalls, ganz im Gegenteil.

Xiamen
Ausflug mit Cousin (2. Grades)
China
Mato und Verwandte beim Fischen

Abends stoßen dann oft die restlichen Verwandten zum Abendessen dazu. Und da wir ja die außergewöhnlichen Gäste aus Deutschland sind, wird dabei so richtig aufgefahren. Wir haben selten so gut und abwechslungsreich gegessen wie hier in China. Und dabei hat das Essen so rein gar nichts mit dem Essen aus den deutschen China-Restaurants zu tun. Da Xiamen und Fuzhou am Meer liegen, gibt es Seafood, Tintenfisch, Quallen (ja, auch sehr lecker), Muscheln, Garnelen, Fisch…. ein absoluter Traum. Reis wird uns dagegen vorenthalten. Das ist das Arme-Leute-Essen und dient nur als unnötiger Sattmacher.

Chinesisches Abendessen
Abendessen am runden Tisch
China
Gānbēi - Prost!

Nach dem Essen ist dann das große Geknipse angesagt. Jeder will mit jedem ein Foto machen. Und so werden immer wieder neue Gruppen gebildet, die vor irgendeinem Smartphone posieren. Wir spielen das Spiel mit und haben viel Spaß - und am Ende zig Fotos von uns mit den verschiedenen Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen und deren Kindern.

Fotografieren China
Posieren für´s Familienalbum
China
Bitte lächeln!

Schade ist, dass wir kaum miteinander kommunizieren können. Wir lachen viel und versuchen uns mit Händen und Füßen zu verständigen - was mehr schlecht als recht klappt. Aber egal, wir haben Spaß und fühlen uns alle wohl. Selbst unsere Generation spricht so gut wie kein englisch. Und umgekehrt hat der Chinesisch-Intensivkurs, den mein Vater und meine eine Schwester extra im Vorfeld der Reise absolviert haben, gar nichts gebracht. In Xiamen wird irgendein Akzent gesprochen, so dass sie das Erlernte zu keiner Zeit auch nur annähernd anwenden können.
Ein Cousin hat sich so ein digitales Übersetzungsgerät besorgt. Wir sprechen auf englisch etwas ein und es übersetzt dann ins Chinesische. Meist klappt das ganz gut, man kann ein paar Sätze austauschen, aber Gespräche funktionieren so natürlich nicht. Aber besser als gar nichts.

Die Zeit vergeht wahnsinnig schnell und ist sehr intensiv. Wir kriegen unheimlich viele Eindrücke, erleben eine Menge emotionaler Begegnungen und Momente. Wie der Besuch in Fofos leergeräumter Wohnung. Nur ein paar Bilderrahmen stehen noch angelehnt im leeren Wohnzimmer, an der Wand hängen Fotos von uns aus Deutschland aus den 80ern. Wir hatten anscheinend immer einen besonderen Platz bei ihm in der Wohnung.

Xiamen
Fofos Wohnhaus
China
Bilderrahmen

Wir sind sehr froh, diese Reise unternommen und den chinesischen Teil der Familie endlich kennengelernt zu haben. Es ist schon unglaublich rührend wie sich uns empfangen haben, wie sie uns eine schöne Zeit machen wollten, wie sie den Kindern kleine Freuden bereitet haben. Und wie stark dann doch so eine Familienbande sein kann, auch wenn man sich kaum kennt und kaum miteinander kommunizieren kann. Es geht irgendwie und wir haben uns in den paar Tagen tatsächlich lieb gewonnen. Mit viel Wehmut verlassen wir nach 8 Tagen China, denn für uns geht es nun für ein paar Tage nach Hongkong. Meine Schwestern bleiben dagegen mit ihren Familien länger in Fuzhou und reisen später nach Peking, wo wir uns dann alle für den Rückflug nach Deutschland wiedertreffen. Nur meine Eltern haben etwas mehr Zeit und besuchen noch weitere Gegenden und die Insel Hainan.

Aber eines ist klar, wir kommen wieder nach China, um unsere neue alte Familie zu treffen und um die Verbindung auch für die Zukunft aufrecht zu erhalten. Und bis dahin können wir uns mailen, denn wir haben fleißig Adressen ausgetauscht. Und dank Google klappt´s dann auch irgendwie mit der Verständigung.

Kommentare

Brenna

Wow, das alles wusste ich gar nicht! Danke dass du das alles geschrieben hast. Einfach toll!

Dein Text und die Erzählung von unserer spannenden und aufregenden Reise hat mir die Tränen in die Augen getrieben.
Es war wirklich sehr emotional, wunderschön, lecker und außergewöhnlich in China! Wir sind sehr dankbar für die Erfahrung und freuen uns schon auf den nächsten Besuch bei den Verwandten!
LG tini

Nina

Was für eine außergewöhnlich interessante und spannende Familiengeschichte! Und ich finde auch die Idee mit dem Buch ganz ausgezeichnet!

Carolin

......wirklich spannend wie ein Roman! So eine Geschichte kann man sich nicht ausdenken!
Caro

Was für eine Familiengeschichte! Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, wie das Auswandern damals gewesen sein muss - völlig ins Ungewisse und mit der Aussicht, die zurückgelassenen Verwandten wahrscheinlich nie wieder zu sehen. Wie schön, dass ihr diese Reise machen und eure chinesische Familie kennenlernen konntet!
P.S.: Ich würde darüber auch ein Buch lesen wollen :-)

Wow, was für eine tolle Geschichte. Du solltest wirklich darüber nachdenken, ein Buch zu schreiben. Liebe Grüße, Ines

Wow. Ich hab mich ein paar Mal bei deinen Instagramposts gefragt, wieso du Verwandte in China hast. Aber die Geschichte, die du hier präsentierst, ist noch spannender als ich erwartet habe. Vielleicht ist die Idee mit dem Buch gar nicht so schlecht. Ich würde es auf alle Fälle lesen. :)

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