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Rügen, naja

Urlaub auf der Ostseeinsel

Ich bin hochschwanger mit unserem 2. Kind Mato. Die allermeisten Fluggesellschaften nehmen mich nicht mehr mit. So ist die Idee entstanden, in diesem Sommer einmal Urlaub in Deutschland zu machen.

So kurzfristig (wir beginnen unsere Recherche etwa einen Monat vorher) noch etwas Gutes zu finden, ist gar nicht so einfach. Wie die Idee, nach Rügen zu fahren, genau entstand, wissen wir schon gar nicht mehr.

Es macht Spaß, das Auto voll zu packen und mit Milan (knapp 3 1/2) loszufahren. Im Auto hören und singen wir lauthals Milans Lieblingslied „Piraten“. Unsere erste Station ist Hamburg, wo wir eine Freundin besuchen und im Hotel direkt gegenüber von Planten un Blomen übernachten. Ein Paradies für Kinder übrigens. Nur schweren Herzens reißen wir uns von Wasserrutschen, Kletterbergen und Abenteuerspielplatz los.

Schön: Planten un Blomen in Hamburg

Die Fahrt dauert ganz schön lang. Vor allem die letzte, oft einspurige Landstraße auf Rügen selbst zieht sich. Wir haben eine kleine, bezahlbare Ferienwohnung in Klein-Zicker am südöstlichsten Zipfel der Insel gefunden und bis dorthin ist es weit. Hin fahren wir die Brücke, zurück gönnen wir uns als vermeintliches Highlight für Milan die Fähre (die ihn aber überhaupt nicht interessiert).

Ziemlich kaputt, hungrig und müde kommen wir am späteren Nachmittag endlich an und erleben die erste Enttäuschung: Nachdem wir unsere Ferienwohnung endlich gefunden haben, was nicht so einfach ist, da nirgends ein Schild darauf hinweist, entdecken wir als erstes unsere vermeintliche „Terrasse“: ein schmuddeliger, über und über mit in Spinnennetzen gefangenen Mücken übersäter Strandkorb auf einem Quadratmeter Asphalt mit Blick auf unser Auto direkt vor der Tür und auf das Nachbarhaus (ca. 2 Meter entfernt). Dann stellen wir fest, dass wir offenbar nicht erwartet wurden (obwohl ich erst kürzlich mit der Vermieterin telefoniert und den vollen Mietpreis im Voraus gezahlt habe). Durch die Glastür sehen wir eine enge, schmutzige Wohnung mit ungemachten Betten. Statt der angepriesenen 65 Quadratmeter höchstens 30 groß, aber das wäre uns auch schon egal, wenn wir sie zumindest betreten, ausruhen und etwas essen könnten. Dafür müssen wir aber erstmal herumirren und jemanden finden. Wir werden (mürrisch, wie die meisten Inselbewohner hier, wie sich leider herausstellt), an Frau Mielke (kein Scherz) verwiesen, die offenbar nebenan wohnt und hier hätte saubermachen sollen. Nachdem sie sich bequemt uns zu empfangen, werden wir erstmal ordentlich angeranzt, wir hätten hier nichts gebucht. Kein Erbarmen mit einem hungrigen Dreijährigen und meinem dicken Schwangerenbauch. Nachdem sie mit der Vermieterin endlich telefoniert hat, sieht sie ihren Fehler zwar nicht ein, fegt aber laut meckernd mal eben durch. Für den versprochenen und bezahlten Kinderstuhl und das Beistellbett reicht ihre Dienstleistungsorientierung leider nicht. Macht nichts, das Schlafzimmer ist ohnehin so eng, dass kein noch so kleines Babybett neben das Elternbett gepasst hätte. So fängt der Urlaub also richtig gut an. Während Frau Mielke meckert und putzt, sitzen wir auf Steinen am nahen, nicht sonderlich schönen Strand herum und warten darauf, endlich anzukommen. Statt uns zumindest was zu Trinken oder Essen anzubieten, verweist Frau Mielke auf die Vermieterin, die uns stattdessen beim garantiert nie stattfindenenden nächsten Urlaub hier (soviel ist jetzt schon sicher) großzügig eine Gratisübernachtung verspricht!

Zumindest die Landschaft macht einen netten Eindruck

Wir versuchen, uns die Laune nicht verderben zu lassen und ziehen die Straße weiter bis zum Ende der Straße auf den "Zicker Berg". Hier endet Rügen. Der Blick hier, die Felsen und das Naturschutzgebiet sind ganz nett, allerdings weht ein dauerhaft extremer Wind. Vielleicht sind wir doch nicht für Urlaub in Deutschland gemacht?

Blick über Klein-Zicker

Die nächsten 10 Tage arrangieren wir uns einigermaßen mit Rügen. Eine große Liebe wird es nicht. Klar, die Kreidefelsen im Nationalpark Jasmund sind genauso beeindruckend wie auf den Postkarten, die man kennt. Der Ostseestrand ganz okay. Dass das Meer ewig flach ist und keine einzige Welle hat, wusste man ja auch schon vorher. Wir sitzen im Strandkorb, eine Wespe sticht mich in den Po, wir machen eine Fahrradtour durch Kiefernwälder zu einem netten Markt in Thiessow.

Die berühmten Kreidefelsen
Kreidefelsen im Nationalpark Jasmund
Schöne Kiefernwälder entlang der Strände

Dass hier alles überteuert ist und man für jeden gottverlassenen Parkplatz am Arsch der Welt noch Geld zahlen muss, da hatte mich ein Kollege schon vorgewarnt. Dass man sogar als Restaurantgast Toilettennutzungsgebühr in ebendiesem Restaurant zahlen muss, hatte er nicht erwähnt. Hochschwanger geht das ganz schön ins Geld.

Mit den Inselbewohnern erleben wir Konversationen wie diese:
Andi: „Einmal fish’n’chips bitte“ (steht so auf der Karte)
Servicefachkraft: „Ham wir nich“
Andi: „Woran liegt es denn? Haben Sie keinen Fisch oder keine Pommes?“ (um herauszufinden, ob er sich entweder nur mit  Fisch oder Pommes begnügen will. Die Karte ist nicht groß.)
Servicefachkraft (jetzt energischer): „Ja, wie? Ham wir nich!“

Was will man da machen?

Oder am Eisstand im schönen Ostseebad Göhren:
Tourist: „Guten Tag, ich hätte gerne ein Eis in der Waffel mit zwei Kugeln...“
Eisverkäuferin (völlig genervt): „Welche denn?!!“
Gutmeinender Tourist, kleinlaut: „Ich wollte Ihnen doch nur helfen, damit Sie wissen, welche Waffel Sie nehmen...“
Eisverkäuferin (jetzt hysterisch, kurz vorm Nervenzusammenbruch):“Jetzt sagen Sie mir doch endlich, WELCHE Sorten Sie haben wollen!!!“

Schöne Strände, seichtes Wasser

Der Erlebnisbauernhof Karls ist empfehlenswert, wenn das Wetter schlecht ist und man sich langweilt. Hier waren wir gleich zwei Mal.

Auch einen Ausflug wert: Markttag in Groß Zicker und Fahrradtour nach Gager.

Putbus ist ein Reinfall, völlig ausgestorben, den Indoorspielplatz „Pirateninsel“ betreten wir erst gar nicht, weil schon von außen klar wird, dass es eine überteuerte, trashige Abzocke ist.

Die Strecken, die wir zwangsweise zurücklegen, weil unser Ort so abgelegen liegt, sind schöne Alleen wie man sie sich vorstellt. Tja, was kann man noch Positives über Rügen sagen? Ach ja, wir haben einen Ausflug mit der historischen Zug, dem "Rasenden Roland", gemacht, das war ganz nett...

Ein Highlight: Feuerwehrwagen auf dem Erlebnisbauernhof

Außerdem haben wir eine sehr nette Begegnung am Strand, der zwar eigentlich in diesem Abschnitt kein FKK-Strand ist, die meisten hier aber trotzdem nackig herumlaufen. Wir haben eine Strandmuschel gekauft, die wir hier zum ersten Mal aufbauen und die Milan während seines Mittagsschlafs gut vor Sonne und vor allem Wind, von dem es hier mehr gibt, schützt. Nun wollen wir sie wieder abbauen und in die plötzlich so klein wirkende Hülle packen. Ratlos steht Andi herum, als sich plötzlich ein „sächsischer Nacktfrosch“ hilfsbereit und sehr fröhlich, splitterfasernackt und üppig über ihn beugt, um zu helfen. Andi weiß gar nicht, wie ihm geschieht und wo er hingucken soll, aber die Dame kennt sich aus und schwupps ist das unförmige Muschel auch schon eingepackt. Das war wirklich mal eine nette Begegnung hier!

Tückische Strandmuschel

Wo ich schon immer einmal hinwollte, und wie wir in erster Linie auf Rügen gekommen sind: Prora.

Der fast 5 Kilometer lange, nur durch einen schmalen Waldstreifen vom Meer nördlich von Binz gelegene Kraft durch Freude-Riesen-Ferienkoloss ist ein absolutes Muss. Auch wenn man sich viel mit nationalsozialistischer Geschichte beschäftigt hat, ist der Besuch von Prora einschließlich der Dokumentationsstätte sehr eindrucksvoll, weil das für 20.000 Feriengäste konzipierte, in acht Blöcken aneinandergereihte Monstrum den ganzen nationalsozialistischen Größenwahn nochmal sehr deutlich vor Augen führt. Vor allem weil der nie ganz fertiggestellte Rohbau so gut erhalten ist. Die Landschaft hier ist wunderschön, der Strand einer der schönster den Insel. Es erstaunt nicht, dass Prora zu neuen Ferienwohnungen ausgebaut werden soll. Stundenlang wandern wir hier herum und versuchen, die unglaublichen Dimensionen dieses Gebäudes zu erfassen. Das Dokumentationszentrum ist unbedingt einen Besuch wert. Das Museumscafé ist gemütlich und bietet leckere Kleinigkeiten wie selbst gebackenen Kuchen an. Im Museum kann man sich gut über die Geschichte Proras und dessen Nutzung informieren. Mit Milan (3 1/2) ist es etwas schwierig, z.B. Filmmaterial anzuschauen und seine Fragen zu beantworten, wer denn dieser „schreiende Anführer“ eigentlich war etc. Wir nehmen uns vor, irgendwann noch einmal zu zweit in Ruhe wieder zu kommen und das Material im Dokumentationszentrum dann eingängiger zu studieren. Am besten lässt man Prora aber ohnehin mit ein paar Hintergundinformationen z.B. darüber, wo und wie noch hier fertig gestellte Festhallen, Aufmarschierplätze, Kaianlagen und Schwimmbäder geplant waren, einfach durch Wanderungen um die größenwahnsinnigen Blocks auf sich wirken. Erschreckend, wie real man die 20.000 Kraft durch Freunde Urlauber vor sich sieht.

Hierlang geht´s
Koloss von Prora
4,5 km langer Häuserblock

Kommentare

Danke für diesen Artikel. Habe herzlich gelacht :D Auf Rügen war ich noch nie...aber die kleinen Dialoge kommen mir insgesamt sehr bekannt vor (komme aus Norddeutschland - Nähe HH). Vermisse ich hier (inzwischen Mainz) nicht ;)

Spezifisch "rügisch" ist das nicht, was ihr da erlebt habt. So wird man als Tourist an der gesamten Ostsee empfangen. Und ja, bei vielen ist das wirklich nur eine Art, sich auszudrücken, die meinen das gar nicht so schnippisch, wie es rüberkommt. Aber wir haben an der Ostsee auch schon so einige Klipper erlebt, und wir kommen seit fast 40 Jahren hierher.
Vielleicht erspart man sich die schlimmsten Enttäuschungen, wenn man wie wir immer Camping macht? Das reduziert auch den Kontakt mit Einheimischen;-)

Ein Hoch übrigens auf unsere nackige Landsmännin, wir Sachsen sind eben einfach die nettesten (und an der Ostsee sowieso zahlreich vertreten).

Bin gespannt, ob es ein nächstes Mal für euch gibt!

LG
Jenny

Jenny

Liebe Jenny,

danke für den Campingtipp. Ja, das könnte helfen, dann bringen wir uns Essen und Klo auch gleich selbst mit, dann kann nix mehr schiefgehen ;-). Hilfsbereite Sächsinnen treffen wir dann ja auch dort...

Viele Grüße,

Jenny

Hallo Jenny,a

OMG haha ich kann dich so gut verstehen! Was ein Horror! Zum Bett frisch beziehen hat es dann nicht mehr gereicht? Hatte ein ähnliches Desaster in Dänemark. Der Artikel ist ja schon ein wenig älter daher habe ich kein schlechtes Gewissen, dass ich laut über deine Beschreibungen gelacht habe. <3 Danke dafür!

Jenny

Liebe Heike,

dann kennst du das ja ;-). Ich kann mittlerweile auch über Frau Mielkes (mangelnde) Dienstleistungsbereitschaft lachen...

Viele Grüße, Jenny

 

Schade, dass ihr negative Erfahrungen machen musstet, denn Rügen ist wirklich schön und bietet viele Möglichkeiten. Naja, manche Menschen sind wirklich etwas „rau“, aber in den von uns gebuchten Unterkünften, war alles OK. Dennoch ein toller Bericht!

Jenny

Hallo George,

freut mich, dass Dir unser Bericht trotz meines Gemeckers gefallen hat. Ich sehe schon, wir sollten Rügen irgendwann wirklich noch einmal eine zweite Chance geben...

Viele Grüße von Jenny

Nach so einem Empfang wäre es wirklich eine Heldenleistung, wirklichen Enthusiasmus für die Insel zu entwickeln. :) Ich habe mehrmals gelesen, die Rüganer (und Hiddenseer) seien "rauh, aber herzlich". Abgesehen von unserer Vermieterin (die wirklich nett war) habe ich auf den Inseln Herzlichkeit nirgendwo spüren können. Ist wahrscheinlich eine ganz spezielle, die man als Laie mit Mürrischkeit verwechselt. :)

Jenny

Liebe Lena,

bitte gib uns Bescheid, wenn Du die raue Herzlichkeit der Rüganer verstanden hast ;-).

Viele Grüße,

Jenny

Das tut mir leid für euch, das Rügen nicht so toll für euch war. Wir waren letztes Jahr dort und hatten extremes Glück mit dem Wetter und eine traumhafte Unterkunft. Ich war ja auch erst skeptisch und wollte lieber in den Süden fliegen um es sonnig und warm zu haben. Aber unser erster Deutschland Urlaub hat mich positiv überrascht

Jenny

Lieber Christian,

vielen Dank, das macht Mut. Vielleicht sollten wir Rügen doch noch einmal eine Chance geben. Landschaftlich hat es uns ja auch gut gefallen...Eure Fotos und vor allem die Unterkunft sehen wirklich toll aus.

Viele Grüße,

Jenny

Daria Schibulsik

Wow, danke für die zahlreichen Impressionen. War als Kind mal auf Rügen, kann mich nur noch an ein leckeres Fisch-Restaurant und eine Wanderung in einem Nationalpark erinnern. Und natürlich an die gigantischen Kreidefelsen.
Viele Grüße,
Daria

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